jueves, 3 de febrero de 2011

"TOTALE TRANSPARENZ IST AUCH TOTALE ÜBERWACHUNG"

WIKILEAKS"Totale Transparenz ist auch totale Überwachung"

Das Geheimnis in Zeiten von Wikileaks: Die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn erzählt im Interview über die Macht des Leakings und über das Phänomen Julian Assange.

ZEIT ONLINE: Frau Horn, in Ihrem Buch Der geheime Krieg beschreiben Sie ein Paradox der Demokratie: Einerseits habe sie die Pflicht zur Transparenz, andererseits bespreche der Staat vieles im Geheimen. Hat uns Wikileaks das nicht sehr wirksam vorgeführt?

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Eva Horn: Das, was durch Wikileaks passiert ist, ist ja nicht so neu. Investigative Journalisten haben oft in die Geheimsphären von Staaten eingegriffen. Denken Sie etwa an die Pentagon Papers oder die Enthüllungen von Seymour Hersh über die getürkten Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak. Das Problem in Demokratien ist, dass sie ihre Legitimation aus Öffentlichkeit und Partizipation beziehen. Deshalb ist es für sie viel problematischer, Staatsgeheimnisse zu haben, als für totalitäre Staaten. Solche sind nicht der Auffassung, dass das Volk wirklich wissen muss, was die Regierung tut.

ZEIT ONLINE: Wozu braucht eine Demokratie überhaupt Geheimnisse?

Horn: Regierungen, egal ob demokratisch oder nicht, brauchen sie aus verschiedenen Gründen: aus Sicherheitserwägungen, also in Form von Kriegsgeheimnissen oder Terrorabwehr, um ihre außenpolitischen Interessen wahrzunehmen, um sensible Verhandlungen in einem geschützten Raum durchführen zu können. Aber es muss auch klar sein: Es gibt legitime Geheimnisse und solche, die die Öffentlichkeit erfahren muss. Denn jedes Geheimnis ist nicht nur ein Schutzraum, sondern öffnet immer auch die Möglichkeit für ein Verhalten, das nicht im Sinne des Gemeinwohls ist.

ZEIT ONLINE: Zum Beispiel?

EVA HORN
Eva Horn

ist Jahrgang 1965 und Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Professorin an der Universität Wien. Von ihr erschien im Jahr 2007 die Studie Der geheime Krieg – Verrat, Spionage und moderne Fiktion (S. Fischer Verlag)

Horn: Das Geheimnis eröffnet eine Grauzone, eine Zone, in der man sich nicht mehr rechtfertigen muss und nicht mehr kontrolliert werden kann. Es kann auch die Tür für illegitime Gewalt öffnen, etwa in den Folterpraktiken des amerikanischen Militärs, aber auch für persönliche Bereicherung, für Korruption und Mauscheleien, oder eben für explizite Lügen der Regierung. Dieser Verlust an öffentlicher Kontrolle und rechtlicher Belangbarkeit ist es, was das Geheimnis so gefährlich macht.

ZEIT ONLINE: Wann muss ein Geheimnis an die Öffentlichkeit?

Horn: Wenn der Staat Geheimnisse vor den Bürgern hat, deren Veröffentlichung fundamentale Auswirkungen auf die staatliche Legitimation hat. Wenn es dem zuwiderläuft, was wir als Gemeinwohl erachten. Die Art und Weise, wie etwa der Vietnamkrieg geführt wurde, und welche Lügen zu seiner Rechtfertigung gebraucht wurden, war etwas, das unbedingt aufgedeckt werden musste. Aber pauschal zu sagen, eine Demokratie darf keine Geheimnisse haben, ist nicht möglich. Es ist viel komplizierter.

ZEIT ONLINE: Julian Assange befürwortet eine umfassende Transparenz.

Horn: Totale Transparenz ist auch totale Überwachung. Das kann doch kein Mensch wirklich wollen. Das beträfe nicht nur die Politik, sondern auch die Privatsphäre aller. Es ist ungeheuer naiv. Assange inszeniert sich als Freiheitskämpfer gegen die konspirative Struktur von Staaten überhaupt.Er glaubt, dass man jedwede Geheimstruktur von Regierungen zerstören muss, und dass Regierungen grundsätzlich konspirativ operieren. So etwas glauben Verschwörungstheoretiker. Seine Idee von dieser Plattform ist zweifellos gut, aber er fokussiert sie einzig auf sich. Ehrlich gesagt finde ich die Debatte um die Person Assange unendlich uninteressant.

ZEIT ONLINE: Warum konzentriert sich die Debatte aber so auf ihn?

Horn: Wie Assange sich in den Vordergrund spielt und plötzlich maskierte Demonstranten Freiheitsparolen rufen, sind typische Effekte einer medialen Öffentlichkeit, die sich eher für das Bekannte interessiert als für komplexe und wirklich neue Sachverhalte. Assange hat eines kapiert: Wenn ich bekannt werden will, muss ich Dinge erzählen, die alle erwarten. Da ist es sehr viel effektiver, die USA anzuprangern oder zum hundertsten Mal vorzuführen, dass die Kriege im Irak und in Afghanistan irgendwie schief laufen. Das wussten wir doch längst. Die Innovation, die Wikileaks tatsächlich darstellt, geschieht auf dem Rücken von Nachrichten, die alle schon kennen.

ZEIT ONLINE: Wie meinen Sie das?

Horn: Als Wikileaks Dokumente über Korruption in Kenia oder über Scientology online gestellt hat, interessierte das kaum jemanden. Dieser Hype ist doch erst entstanden, als sie an die klassischen Medien herangetreten sind, die investigativ arbeiten. Die Aufmerksamkeit, die Wikileaks bekommen hat, lief nur über die Aufbereitung durch diese Medien. Die haben bestimmte Nachrichten aus den kryptischen Depeschen herausgefiltert – leider auf ungeheuer langweilige Weise.

ZEIT ONLINE: Was hätten Sie denn gerne gewusst?

Horn: Jedenfalls nicht Geschwätz über "Teflon-Merkel", Getratsch über Gadhafi oder Guido Westwelle. Herausgefiltert wurde, was gerade der Stimmungslage entspricht. Nur langsam und spärlich kommt heraus, was wirklich interessant ist: die komplizierten politischen Allianzen im Mittleren Osten, die Verstrickungen von Shell mit der nigerianischen Regierung, die medizinischen Versuche von Pfizer in Afrika, um nur ein paar Beispiele zu nennen, die fast unbemerkt vorbeigezogen sind. Erst langsam kommt heraus, was wirklich neu und skandalös ist. Dafür aber braucht es sachkundige Journalisten, die kann Wikileaks nicht ersetzen. Durch die Internetseite ist keine andere Struktur von Öffentlichkeit entstanden. Was wirklich neu ist, ist die Möglichkeit, Insiderinformationen publik zu machen.

ZEIT ONLINE: Ist das nicht schon viel wert?

Horn: Ich glaube, dass es für westliche Demokratien nicht so bahnbrechend ist, wie manche gerne glauben. Weil man dort eine freie Presse hat. Jeder Politiker, der Dreck am Stecken hat, muss investigative Journalisten fürchten, und das ist auch gut so. Viel wichtiger ist die Idee des Leakingsdoch für Staaten, in denen es keine freie Öffentlichkeit gibt und in denen der Staat wirklich durch und durch korrupt ist. Vielleicht sollte man diese Idee auch nicht auf die höchst intransparente Organisation Wikileaks beschränken. Es gibt mittlerweile immer mehr Leaking-Plattformen, die gerade für Länder, in denen wirklich viel Korruption und Regierungskriminalität herrscht, lebenswichtig werden könnten.

ZEIT ONLINE: Abgesehen von nationalen Stimmungslagen: Warum wird hinter einem Geheimnis sofort etwas Dunkles vermutet?

Horn: Das ist ein alter Reflex. Politische Geheimnisse sind immer die Leichen im Keller der Macht. Aber nicht immer ist alles, was geheim gehalten wird, gleich ein Verbrechen. Wenn ein Staat mit einem anderen verhandelt, ist es doch logisch, dass nicht jeder Zwischenstand öffentlich gemacht wird. Das ist der Raum der Diplomatie, der nun von diesen Depeschen beschädigt wurde. Aber da wurden keine Verbrechen begangen. Carl Schmitt hat mal vom politischen Betriebsgeheimnis gesprochen. Viele Geheimnisse sind nicht mehr und nicht weniger als das.

ZEIT ONLINE: Das klingt jetzt sehr harmlos.

Horn: Vieles ist ja auch harmlos, aber trotzdem eine wichtige Schutzzone. Das ist eine Lehre der alten arcana imperii: Wenn man etwas plant, dann sollte man nicht lange vorher breit darüber reden, weil es dann vereitelt wird. Deswegen ist es erstens naiv und zweitens dysfunktional zu sagen, wo immer ein Geheimnis ist, steckt etwas Bösartiges dahinter. Ein Kriterium, ob etwas harmlos ist oder nicht, wäre die Frage, ob man es wenigstens im Nachhinein oder vor einem demokratisch legitimierten Gremium offen legen und rechtfertigen könnte. Für so etwas haben wir parlamentarische Kontrollausschüsse.

ZEIT ONLINE: Braucht ein Verrat Spielregeln?

Horn: Nein, Verrat ist immer ein Bruch von Regeln: des Vertrauens, der Loyalität, der Diskretion. Ein Bloßstellen der eigenen Leute, selbst zu einem guten Zweck. Für den Verräter hat der Verrat immer etwas Tragisches. Nicht Assange, soviel Ärger er im Moment haben mag, ist hier ein persönliches Risiko eingegangen, sondern Bradley Manning. Ich glaube, er hat sich weder klar gemacht, was die Folgen seiner Tat sein würden, noch was ihm jetzt blüht. Aber er hat sich strafbar gemacht und wird drastisch bestraft werden. Er trägt die ganze Tragödie des Verräters auf seinen Schultern. Das Traurige an der Geschichte ist ja nicht zuletzt, dass er nur aufgeflogen ist, weil er sich in der Hacker-Community jemandem anvertraut hat. Dieser ganze Hacker-Heroismus, diese ganze pompöse Rechtfertigung des Leakings als Dienst an der Öffentlichkeit steht damit doch sehr schlecht da.

ZEIT ONLINE: In Ihrem Buch schreiben Sie, das 20. Jahrhundert sei das Jahrhundert des Verrats. Was ist mit dem 21. Jahrhundert? Jetzt, in Zeiten der Digitalisierung?

Horn: Das Jahrhundert ist ja noch sehr jung. Schwer zu sagen, was sich durch Wikileaks eigentlich ändert. Ich glaube, dass die Möglichkeit des anonymen, elektronischen Leakings oder Verrats äußerst wichtig werden wird. Leaking wird leichter. Die Frage ist, ob das tatsächlich zu mehr Transparenz führt oder möglicherweise auch zu mehr Indiskretion, zum Bloßstellen von Privatpersonen oder zum Blamieren von Regierungen.

ZEIT ONLINE: Ruft es Staaten nicht auf, restriktiver zu sein?

Horn: Natürlich. Wenn der Verrat technisch einfacher wird, werdensichOrganisationen auch technisch dagegen wehren. Sie werden Strukturen aufbauen, in denen es nicht so leicht möglich ist, an Daten heranzukommen. Das nennt man Kompartmentalisierung. Informationen, die eine bestimmte Abteilung betreffen, können auch nur noch von dieser eingesehen werden. Im Kalten Krieg war das guter Brauch, weil man überall einen Maulwurf vermutete. Heute vermutet man womöglich einen Wikileaksinformanten. Es geht nicht mehr gegen einen direkten Feind, sondern gegen solche, die vielleicht auch aus ehrenwerten Motiven etwas an die Öffentlichkeit bringen wollen. Das ist eine Folge des Depeschen-Skandals. Und perverserweise werden gerade diejenigen Staaten und Organisationen belohnt, die durch Angst und intransparente Strukturen ihre Geheimnisse effektiver schützen.

ZEIT ONLINE: Die Internet-TheoretikerGeert Lovink und Patrice Riemens stellten kürzlich zehn Thesen zu Wikileaks auf. Unter anderem sagten sie, die Plattform und dieser Skandal seien ein rein westliches Phänomen.

Horn: Mein Eindruck ist auch, dass es eine westliche Aufmerksamkeitsstruktur ist. Sie liest lieber,was die USA mal wieder verbrochen haben, als über die russische oder chinesische Regierung. Es ist doch seltsam, dass über diese zwei extrem korrupten und repressiven Regierungen bisher auf Wikileaks nicht viel gekommen ist. Vermutlich ist das einfach viel zu gefährlich. Aber nett ist das Gerücht, dass die Revolte in Tunesien von Wikileaks-Material angestoßen wurde. Sicher ist das nicht die ganze Wahrheit. Die Tunesier brauchen nicht erst einen amerikanischen Botschaftsbericht, um zu sehen, was in ihrem Land seit Jahren schief läuft. Aber vielleicht sind es manchmal solche kleinen Informationen, die das Fass zum Überlaufen bringen.



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