domingo, 21 de agosto de 2011

"BITTE SPRECHEN SIE FÜR ALLE!"

DENKANSTOS

Bitte sprechen Sie für alle!

Aus: Christ & Welt Ausgabe 34/2011

Vor dem Deutschlandbesuch von Benedikt XVI.: Warum sich ein namhafter Protestant den Papst als Ehrenoberhaupt der Christen wünscht.

Der Papst kann eine Führungsrolle in der Christenheit einnehmen. In außergewöhnlichen Situationen kann er im Namen der ganzen Christenheit sprechen. © Alessandro Bianchi/Reuters

Johannes Paul II., der seliggesprochene Papst, hatte eine grandiose Idee zum Beginn des neuen Jahrtausends. Ihm schwebte offensichtlich ein noch nie da gewesenes Treffen vor: Alle Patriarchen und Präsidien der Konfessionen und Weltbünde sollten im Heiligen Land mit einem gesamtchristlichen Friedenskonzil den Kirchen und der ganzen Menschheit eine unüberhörbare Botschaft vermitteln. Seine Pläne scheiterten. Die katholische Seite meinte, Einladender sollte der Papst sein. Die orthodoxe Seite hielt dagegen, nur der orthodoxe Patriarch von Jerusalem sei dafür prädestiniert. Die Frage erledigte sich nach ersten Kontakten mit den palästinensischen Behörden, wer denn für die Sicherheit verantwortlich sei. Alle gaben sich damit zufrieden, dass das große Zeichen ausfiel; die Kirchen hatten auch längst das Millennium mit eigenen Veranstaltungen verplant.

Doch die Idee hat nichts an Strahlkraft eingebüßt. Ein Großereignis wie der bevorstehende Besuch Papst Benedikts XVI. in Deutschland ruft neue Hoffnungen wach. Der Besuch kann der Vision neue Impulse geben: Der Traum von der Gemeinschaft aller Christen kann Wirklichkeit werden, wenn Protestanten und Orthodoxe dem Papst die Rolle eines Ehrenoberhaupts der Christenheit antragen.

Doch der Papst als oberster Christ – ist das nicht eine Zumutung, gerade für evangelische Christen? Nicht unbedingt. Der Papst steht an der Spitze der größten Kirche, die knapp die Hälfte der weltweit 2,2 Milliarden Christen vereint. Er kann und sollte bei dieser Vision eine charismatische Führungsrolle einnehmen. In außergewöhnlichen Situationen kann der Papst in Absprache mit den anderen Kirchenführungen im Namen der ganzen Christenheit sprechen. Die Christenheit könnte sich kräftiger für benachteiligte Menschen einsetzen. Ein Drittel der Menschheit, das in versöhnter Verschiedenheit zusammenlebt, könnte effektiver für Frieden zwischen den Völkern kämpfen. Das Christentum verträte seine Botschaft glaubwürdiger als eine in Tausende Kirchen gespaltene Religion. Es würde, in der Sprache der Religion, Gott die Ehre geben.

Das 500. Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 kann ein Anlass sein, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Zumindest könnten sich die Kirchen unumkehrbar dahin auf den Weg machen. Dann würden sie in diesem Jahr ihre wachsende Einheit feiern, statt nur, wie der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller formulierte, das Schicksal der Spaltung betrauern. Auf seinem Deutschlandbesuch will der Papst ein ökumenisches Signal setzen. Das überzeugendste Zeichen bestünde darin, den Weg zur Einheit der Christen zu bahnen und Möglichkeiten zu einer Ausübung des Papstamtes anzubieten, die auch von nichtkatholischen Kirchen anerkannt werden kann. „Servus Servorum Dei“, Diener der Diener Gottes, nennen sich die Päpste seit etwa 600, als Gregor der Große diese Selbstbezeichnung annahm. Die ganze Christenheit würde es begrüßen, wenn der Bischof von Rom tatsächlich allen dient und seine historisch gewachsenen Vollmachten nicht als Herr des Rechts und der Macht der Kurie gebraucht, sondern als einen Ehrenvorsitz, der der Einheit aller Christen verpflichtet ist.

Diesen Weg bereitet die moderne ökumenische Bewegung seit etwa 150 Jahren vor, seit sie am Konzept einer konziliaren, also gleichberechtigten Gemeinschaft der Kirchen arbeitet. Sie hat dabei erhebliche Fortschritte erzielt. Zwischen Katholiken und Protestanten ist durch eine Gemeinsame Ökumenische Kommission in Deutschland ausgesprochen worden, dass die gegenseitigen Verwerfungen aus dem 16. Jahrhundert die Partner von heute nicht mehr treffen. Allerdings gibt es noch keine Einigung bei Fragen des geistlichen Amtes, vor allem der Hierarchie und der Frauenordination. Papst Benedikt gehört selber zu denen, die dennoch das Zusammenwachsen fördern wollen. 1983, zum 500. Geburtstag Martin Luthers, sagte er als Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation: „Wir müssen dazu kommen, dass man immer mehr das gemeinsame Christsein trotz der Trennungen erkennt und liebt; dass Trennung nicht mehr Grund zum Gegeneinander, sondern Herausforderung zu einem inneren Verstehen und Annehmen des anderen ist, das mehr bedeutet als bloße Toleranz: ein Sichzugehören in der Treue zu Jesus Christus.“ Ein Papst, der das sagt, ist schon jetzt ein Sprecher aller Christen.

Zugunsten einer neuen Führungsrolle müsste der Papst häufig auf eine hierarchische Durchsetzung seines gesetzgeberischen Anspruchs verzichten, wie Hans Küng schon 1974 vorschlug. 1983 formulierten die prominenten katholischen Theologen Heinrich Fries und Karl Rahner „mit erkenntnistheoretischer Toleranz“ bahnbrechende Thesen zu einer „Einigung der Kirchen als reale Möglichkeit“. Eine internationale katholisch-lutherische Kommission strebte 1984 eine Einheit an, „die nicht Absorption oder Rückkehr meint, sondern eine strukturierte Gemeinschaft von Kirchen“. Derzeit herrscht aber eher der Eindruck, dass die römisch-katholische Kirche noch nie so „römisch“ und damit zentralistisch geprägt war wie heute. Protestanten registrieren, dass die Ökumene im Vatikan häufig weniger Gewicht hat als etwa die für Lehre zuständige Glaubenskongregation. Viele ökumenisch engagierte katholische Theologen können sich nur ein Papstamt vorstellen, bei dem die getrennten Kirchen innerhalb der erneuerten römisch-katholischen Kirche ihren Ort finden. Dann aber wäre nur eine Integration anderer Kirchen in die katholische denkbar, also eine Gemeinschaft mit und unter dem Papst. Das lehnt die andere Hälfte der Christenheit ab. Doch bei allen Hinweisen auf Chancen für und Einwände gegen eine mögliche Erneuerung des Papsttums: Auch die reformatorischen Kirchen müssen ihre Selbstgenügsamkeit aufgeben und mutig ökumenische Konsequenzen ziehen. Protestanten sündigen mit ihrem traditionellen konfessionellen und nationalkirchlichen Neben- und Gegeneinander, wenn sie so der Wirkung des Evangeliums in der Welt im Wege stehen. Es kommt darauf an, im dritten Jahrtausend des Christentums eine neue konziliare Gemeinschaft der Christen zu entwickeln – nicht unter, aber mit dem Papst.

Reinhard Frieling war langjähriger Leiter des Konfessionskundlichen Instituts der evangelischen Kirche, ist emeritierter Professor für ökumenische Theologie in Marburg und Moderator der „Charta Oecumenica“. Diesen Essay hat er exklusiv für Christ & Welt geschrieben.

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