martes, 15 de noviembre de 2011

DIE ZEIT ENTREVISTA A JOSCHKA FISCHER


JOSCHKA FISCHER»Vergesst diese EU«

Europa muss umgebaut werden, fordert Ex-Außenminister Joschka Fischer im Gespräch mit der ZEIT. Die Chefs der Euro-Staaten sollen entscheiden – kontrolliert von einem echten Parlament.
Joschka Fischer
Joschka Fischer
DIE ZEIT: Herr Fischer, wenn Sie noch einmal zwanzig Jahre alt wären, würden Sie dann mit der Occupy-Bewegung gegen die Macht der Banken demonstrieren?
Joschka Fischer: Occupy wäre mir damals wahrscheinlich zu moderat gewesen.
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ZEIT: Aber Sie verstehen das Anliegen der Demonstranten?
Fischer: Natürlich.
ZEIT: Steckt darin ein revolutionäres Moment?
Fischer: Revolutionär ist die Occupy-Bewegung nicht. »Revolutionär« waren die Bankenvorstände, die das globale Finanzsystem in eine globale Krise geführt haben. Leider sind wir in einer Situation, in der auch der Staat als klassischer Gegenspieler des Marktes nicht gut dasteht. Im Gegenteil.
ZEIT: Erleben wir derzeit eine Bankenkrise oder eine Staatsschuldenkrise?
Fischer: Es begann als Bankenkrise, wurde dann zur Staatsschuldenkrise, geht aber noch tiefer. Die Finanzkrise trifft alle Staaten. Aber in Europa ist sie eskaliert, weil wir nur über schwache Entscheidungsstrukturen verfügen. Es fehlt eine politische Union. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Europa zerfällt. Oder wir machen den Schritt in die politische Union. Und zwar nicht irgendwann, sondern innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre.
ZEIT: Wie soll das künftige Europa aussehen, das Ihnen vorschwebt?
Fischer: Vergessen wir die EU der 27! Leider. Aber ich sehe einfach nicht, dass diese 27 Staaten gemeinsam irgendeine bedeutsame Reform hinbekommen. Also wird man eine Avantgarde bilden müssen. Diese Vorhut ist definiert durch das gemeinsame Interesse am Erhalt des Euro.
ZEIT: Das ist dann Kerneuropa.
Fischer: Es ist die faktische Realität. Wir sehen doch schon, wie die künftige Regierung entsteht: Die Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Staaten tagen fast permanent. Sie sind heute die Entscheidungsinstanz in Europa.
ZEIT: Und wer nicht dabei ist, ist draußen?
Fischer: Es gibt Unterschiede. Dänemark etwa ist mit der Krone fest an den Euro gebunden, möchte aber nicht zur Euro-Zone gehören, das ist durch Volksentscheid so festgehalten. Selbst in England ist man sich einig, dass es eine Fiskalunion geben muss. Das kleine schmutzige Geheimnis in London ist, dass die Zukunft des Finanzplatzes London sehr viel mehr vom Schicksal des Euro abhängt als vom Pfund.
ZEIT: Sie wollen ein Europa ohne Brüssel.
Fischer: Nein, aber wir müssen jetzt einen Umweg machen, wenn Europa nicht scheitern soll. Ich empfehle das Schengen-Abkommen als Vorbild. Damals haben einige europäische Staaten in einem Vertrag beschlossen, auf gegenseitige Grenzkontrollen zu verzichten. Inzwischen ist das Teil der Europäischen Verträge.
ZEIT: Und wo bleibt in Ihrem Modell die demokratische Kontrolle?
Fischer: Es wird nicht ohne eine Beteiligung der nationalen Parlamente gehen, weil dort unantastbar das Budgetrecht liegt. Deshalb sollte man eine beratende Euro-Kammer erwägen, in die aus den nationalen Parlamenten die Spitzen der Fraktionen und des Parlaments entsandt werden. Die Führungsleute der Parlamente tragen also einen Doppelhut, einen nationalen und einen europäischen, genauso wie die Regierungschefs. So können diejenigen, die daheim das Sagen in ihren Parlamenten haben, auch in Europa mitreden. In einem abschließenden Vertrag würde die Euro-Kammer aufgewertet werden zu einem echten Parlament mit Entscheidungs- und Vetokompetenz. Verlierer eines solchen Modells wären die heutige Kommission und das Europaparlament, das muss man deutlich sagen. Aber wir haben gesehen, dass beide Institutionen keine Legitimation schaffen konnten.
ZEIT: Sie wollen die EU opfern, um den Euro zu retten.
Fischer: Umgekehrt. Indem ich den Euro rette, erhalte ich die EU. Zu einer Vorhut gehört auch eine Nachhut. Die anderen Länder werden nachziehen. Das ist die Erfahrung, die wir in Schengen gemacht haben.
ZEIT: Ihr Modell sieht weitreichende Souveränitätsübertragungen vor. Geht das ohne Volksabstimmungen, auch in Deutschland?
Fischer:Es muss ein Referendum geben, ja. Ich bin kein Freund von Volksabstimmungen, aber in diesem Fall ist es unverzichtbar. Nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen, sondern vor allem aus politischen.
ZEIT: Sehen Sie eine Chance, in den nächsten zwei bis drei Jahren eine Mehrheit für Ihr Modell zu bekommen?
Fischer: Ich sehe vor allem, dass die Krise uns nicht loslassen wird. Ohne Mut werden wir da nicht rauskommen. Da wird es auf Merkel und Sarkozy, auf Merkozy ankommen. Mein Eindruck ist: Wenn es ernst wird mit Europa, werden die Bürger trotz diverser dauerredender Quatschköpfe mit zwei Dritteln für Europa stimmen.
ZEIT: Sie haben Merkel immer scharf kritisiert. Jetzt sagen Sie, es komme auf Merkel und Sarkozy an...
Fischer: Wir haben doch niemand sonst! Es hat qualvoll lange gedauert, aber mein Eindruck ist: Man ist jetzt aufgewacht. Besser gesagt: Frau ist aufgewacht. Allerdings habe ich immer noch das Gefühl, dass die nötige Entschlossenheit fehlt. Was wir jetzt brauchen, ist ein Zehn-Punkte-Plan für Europa, ähnlich dem, mit dem Kohl seinerzeit die deutsche Einheit organisiert hat. Wir brauchen einen Zehn-Punkte-Plan für eine politische Union.
ZEIT: Gehört dazu auch eine Vergemeinschaftung der Schulden, sei es durch Euro-Bonds oder durch eine Ausweitung der Befugnisse der Europäischen Zentralbank?
Fischer: Es läuft auf eine Stabilitäts- und Transferunion hinaus. Wer das bestreitet, lügt sich in die Tasche. Im Übrigen sind wir dorthin bereits kräftig unterwegs.
ZEIT: Müssen alle 17 heutigen Euro-Staaten weiter in der Euro-Zone sein?
Fischer: Ob alle drin sein müssen, weiß ich nicht. Aber wir wären gut beraten, die Griechen drin zu halten. Denn als Außenpolitiker sage ich: Griechenlands Bedeutung für den Balkan und das östliche Mittelmeer wird bleiben.
ZEIT: Sie argumentieren politisch. Mit politischen Argumenten wurde seinerzeit auch die Entscheidung begründet, die jetzt alle als falsch bezeichnen, nämlich Griechenland in die EU und den Euro aufzunehmen.
Fischer: Die Währungsunion war immer ein politisches Projekt. Es ging um die europäische Integration! Und die Italiener und Spanier, hätte man die auch raushalten sollen? Da gab es auch Risiken.
ZEIT: Aber eine andere Wirtschaftskraft. Wir fragen uns jedenfalls, ob eine künftige Wirtschaftsregierung nach Ihrem Modell überhaupt die politische Kraft hätte, irgendetwas besser zu machen, wenn schon Griechenland too big to fail ist.
Fischer: Aber ja. Wenn Sie Euro-Bonds hätten, wäre der drohende Bankrott eines Landes eben kein systemisches Risiko mehr. Nehmen Sie die USA: Wenn der Bundesstaat Louisiana pleitegeht, ist das kein Drama für den Dollar, sondern nur für Louisiana.
ZEIT: War es richtig, Druck auf Griechenland auszuüben, damit das geplante Referendum abgesagt wird? Es ist der Eindruck entstanden: Das Volk stört nur.
Fischer: Vermutlich hätte ich auch so gehandelt wie Merkel und Sarkozy in Cannes. Nicht nur, weil ich mich übel reingelegt gefühlt hätte. In einer solchen Situation kann man keine Spielchen spielen. Da muss man auf Klarheit setzen.
ZEIT: Wird Griechenland in drei Jahren noch im Euro sein?
Fischer: Vor Papandreous Geniestreich hätte ich gesagt: ja. Heute weiß ich nicht, was da noch an Irrationalitäten kommt. Im Übrigen geht es doch längst nicht mehr um Griechenland. Wenn die Griechen aus dem Euro rausgingen, würden wir schon bald die Schlacht um Italien und Frankreich führen.
ZEIT: Wie groß ist die Gefahr, die von Italien ausgeht?
Fischer: Ich sage Ihnen, da haben einige finanziell potente Leute eine Wette laufen. Relevante Marktakteure, vor allem manche Hedgefonds, haben darauf gesetzt, dass der Euro zerbricht. Griechenland ist für die nur das Vorspiel. Die sollten wir enttäuschen und solidarisch zusammenstehen.
ZEIT: Es wird auch argumentiert, dass ein Ausscheiden aus dem Euro viel besser für die Griechen wäre. Und für die EU.
Fischer: Wenn die Griechen jetzt rausgehen, sind sie mehr als pleite.
ZEIT: Pleite sind sie so oder so. Die Frage ist, wem das, was derzeit unternommen wird, wirklich hilft: den Griechen oder den Banken?
Fischer: Die Zweifel an den Sparpaketen teile ich. Ich bin nach Griechenland gefahren, um mir selbst ein Bild zu machen. Es ist verheerend. Es herrscht ein Zustand der Hoffnungslosigkeit wie nach einem verlorenen Krieg. Ich verstehe nicht, dass Angela Merkel nicht zu einem recht frühen Zeitpunkt nach Athen gefahren ist. Man kann beides tun: die notwendigen schmerzhaften Reformen anmahnen, aber auch Hoffnung geben. Die Griechen werden sich nicht aus der Krise raussparen können. Ich habe nie verstanden, warum die EU nicht das tut, was sie wirklich kann, nämlich die Sanierungsmaßnahmen zu koppeln an ein Wiederaufbau-Paket.
ZEIT: Der Modus der gesamten europäischen Debatte ist Erpressung: Wenn ihr nicht allem zustimmt, dann kommt die Katastrophe...
Fischer: Dann kommt nicht die Katastrophe, dann kommt die Re-Nationalisierung. Wenn Sie Gauweiler heißen oder Sinn oder Unsinn, dann können Sie das natürlich wollen.
ZEIT: Drohungen statt Argumente, mit dieser autoritären Haltung...
Fischer: Das ist nicht autoritär, das ist die Wirklichkeit!
ZEIT: ...werden Sie die Ängste vor mehr Europa kaum in den Griff bekommen. Wie schaffen Sie Akzeptanz für mehr Europa, bei den Griechen und hierzulande? Sie müssen Mehrheiten für Ihre Volksabstimmung organisieren.
Fischer: Ich organisiere gar nichts. Ich mache die Alternativen klar. Für mich ist die Frage von Krieg und Frieden nicht erledigt. Ich bin politisch und biografisch viel zu nah an den neunziger Jahren und den Kriegen auf dem Balkan. Ich sage nicht, dass wir auf einen neuen Weltkrieg zusteuern...
ZEIT: Sie haben einen gewissen Ruf als Apokalyptiker...
Fischer: Ja, und ich lag bislang leider nicht schlecht. Ich habe gerade die Lebenserinnerungen von Stefan Zweig gelesen. Er beschreibt, wie im Ersten Weltkrieg eine ganze Welt verloren gegangen ist, eine Welt, die vollkommen sicher schien, die habsburgische Monarchie. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir Europa nicht verlieren. Das Risiko ist gegenwärtig sehr groß. Den Kontinent Europa wird es auch ohne den Euro geben, aber als politisch-kulturelles Projekt ist es dann tot.
ZEIT: Wie mächtig ist Deutschland im Moment?
Fischer: Sehr viel mächtiger, als wir denken, aber das ist schon länger so. Und zugleich doch auch sehr schwach und abhängig. Unser Schicksal heißt nun einmal Europa.
ZEIT: Ist Deutschland seiner Größe gewachsen?
Fischer: Als Außenminister kam ich eines Tages zu meiner Freundin Madeleine Albright und habe gejammert: »Es ist furchtbar. Was wir tun, ist falsch. Engagieren wir uns, werden wir kritisiert. Engagieren wir uns nicht, werden wir auch kritisiert.« Da brach sie in schallendes Gelächter aus und sagte: »Ach, Joschka, das ist der Widerspruch von Führung. Amerika erlebt das täglich.« Recht hatte sie. Wir müssen lernen, mit diesen Widersprüchen umzugehen.
ZEIT: Sie kommen viel in der Welt herum. Gibt es eine Angst vor den Deutschen, vor einer deutschen Hegemonie?
Fischer: Alle schauen sehr aufmerksam zu, wie der bully in der Klasse, so sehen uns die anderen und vor allem die Kleinen, mit den Griechen umgeht, die schon am Boden liegen. Glauben Sie nicht, dass Bild-Schlagzeilen über die faulen Griechen nicht wahrgenommen werden. Das ist schlimm.
ZEIT: Bei der Libyen-Intervention hat sich der bully sehr klein gemacht.
Fischer: Sie wollen doch nicht ernsthaft, dass ich dazu noch etwas sage? Wir haben die schlechteste Regierung seit 1949, aber das Land ist stark genug, auch damit zurechtzukommen.

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